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Von Gregor Westerbarkei
Rißegg
Die Podiumsdiskussion des Kreisverbands der Jungen Union hat die Flüchtlingssituation im Landkreis Biberach aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, viele Informationen geliefert und auch mit dem ein oder anderen Missverständnis aufgeräumt.
Auf dem Podium standen der Bundestagsabgeordnete Josef Rief (CDU), Jürgen Kraft (Leiter des Amts für Flüchtlinge und Integration im Landratsamt Biberach), Sara Sigg (Regionalleiterin Caritas Biberach-Saulgau) und Paul Weinhart (Helferkreis Hochdorf) sowie Moderator Tobias Meinhold den rund 40 Gästen Rede und Antwort. Im Publikum saßen neben Kommunalpolitikern auch Ehrenamtliche und Hauptamtliche aus der Migrationsarbeit, Unternehmer und auch Geflüchtete.
Amtsleiter Kraft lieferte die aktuellen Zahlen. Seit Anfang 2022 sind 3600 Geflüchtete im Landkreis angekommen und damit „so viele wie noch nie“. Aktuell kommen 80 Geflüchtete pro Monat in den Landkreis, die eine Hälfte aus der Ukraine, die andere sind Asylbewerber. „Es herrscht Druck im Landkreis“, stellte Kraft fest. 250 Personen seien in diesem Jahr in die Gemeinden verlegt worden, das Ziel für dieses Jahr seien 600. „Das ist eine große Herausforderung, auch für die Bürger vor Ort.“ Hilfreich wäre es da, wenn die Landkreise und Kommunen mehr Planungssicherheit hätten. „Wir haben 2015 gute Strukturen aufgebaut und wurden dann aufgefordert, die 3000 vorhandenen Plätze auf 500 abzubauen“, berichtete Kraft. Das ging in den vergangenen Jahren mit einem Personalaufbau und -abbau einher. „Wir brauchen aber ein spezielles Level“, sagte Kraft.
„Der Landkreis Biberach hat die Herausforderungen durch die vielen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer gut hinbekommen“, sagte Josef Rief. Gerade bei den Ukrainern sei man gut aufgestellt, Probleme bereite die zusätzliche Migration. Dort stelle sich die Frage: „Sind sie verfolgt oder möchten sie ein besseres Leben haben?“ Fachkräfte und Asylberechtigte seien willkommen, so Rief. Es dürfe aber „keine Zuwanderung ins Sozialsystem“ geben. Da besitze Deutschland eine große Anziehungskraft. Nicht asylberechtigte Personen sollten bereits an den europäischen Außengrenzen zurückgeführt werden. Zudem müsse mehr Energie in die Rückführung Straffälliger investiert werden. „Viele Kommunen sind am Anschlag und wir sind in einer Situation, in der die Bürger spüren, dass uns die Situation langsam überfordert“, warnte Rief, der mehrfach betonte, das Asylrecht erhalten zu wollen. Doch es brauche „mehr Ordnung und Klarheit“. Dann werde auch die Integration besser gelingen. Immer wieder wurde in der Diskussion die Forderung nach einer europäischen Lösung laut. Kraft: „Es kann nicht sein, dass wir die meisten Ukrainer aufnehmen und andere gar keine.“
Caritas-Regionalleiterin Sigg weiß aus Gremiensitzungen mit anderen Caritas-Regionen, dass die Situation überall herausfordernd sei und sie im Landkreis Biberach gut gemeistert wurde. Das führt sie auf die vorausschauende Planung des Landkreises zurück und auf die vielen Schultern, auf die sich die Last verteilt habe - freie Träger, Ehrenamtliche, Kommunen und Landkreis. Sie lobte auch die Arbeit der Politik, den guten Austausch mit den Abgeordneten und die Arbeit auf Augenhöhe im Landkreis. Sigg sorgt sich jedoch wegen der bürokratischen Hürden: „Irgendwie verwalten wir uns selbst und kommen nicht mehr hinterher.“ Große Herausforderungen sieht Sigg in den Bereichen bezahlbarer Wohnraum und Kinderbetreuung. „Da sind strukturelle Mängel im Land vorhanden, die aber nicht nur mit den Geflüchteten zu tun haben“, sagte sie.
Der ehemalige Schulleiter Paul Weinhart engagiert sich seit 2015 im Helferkreis Hochdorf und wurde damals gebeten, beim Deutschunterricht zu unterstützen. Seitdem hilft er, eine Willkommenskultur zu pflegen. Derzeit fungiert er als Hausmeister in einer Unterkunft. Als wesentlichen Faktor bei der Integration sieht Weinhart eine schnelle Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis. „Wenn der Zugang zu Arbeit nicht leichter wird, produzieren wir Kriminalität“, sagte Weinhart. Es bringe aber nichts sich abzuschotten. Stattdessen sollten die Flüchtlingslager subventioniert und Bildungseinrichtungen vor Ort gefördert werden, wie es bereits Rupert Neudeck, Mitbegründer der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, gefordert habe.
„Jeder Asylbewerber darf arbeiten“, stellte Amtsleiter Kraft fest. Lediglich abgelehnte Asylbewerber, die zudem über keinen Pass verfügen, dürften nicht arbeiten, erläutert er. Das Problem seien die fehlenden Deutschkenntnisse. Manchen Arbeitgebern reiche es, wenn die Geflüchteten gut Englisch sprechen. Doch meistens gehe es um Helfertätigkeiten, beispielsweise in der Gastronomie. Und dort sei es ohne Deutschkenntnisse schwierig. Kraft appelliert daher an die Bürger: „Nehmt die Menschen an die Hand und sprecht mit ihnen.“ Zudem sei der Landkreis jederzeit gerne bereit, bei der Vermittlung einer Arbeitskraft zu unterstützen.
Weinhart berichtete zudem, dass Asylbewerber kritisieren, dass Ukrainer „hofiert“ würden. „Man sollte alle gleich behandeln“, fordert er und erhält Zustimmung von Jürgen Kraft: „Der Bund hat gleich verfügt, dass er das Bürgergeld für die Ukrainer übernimmt. Dem Landkreis entstehen dadurch zwar keine Kosten, aber diese Zwei-Klassen-Gesellschaft ist ein Problem.“ Nicht nur zwischen Ukrainern und Geflüchteten aus anderen Ländern wird differenziert. Sara Sigg wies darauf hin, dass es Menschen mit dunkler Hautfarbe oft schwerer hätten. „Unter Flüchtlingen, aber auch bei Helfern.“ Sie findet es bedauerlich, dass hier aufgrund äußerlicher Merkmale unterschieden werde.
Aufklärungsarbeit konnte Amtsleiter Kraft nach einer Frage aus dem Publikum leisten. Es sei keineswegs so, dass für jede Unterkunft Reinigungspersonal beschäftigt werde. „Wir haben insgesamt 35 Unterkünfte und nur in drei Unterkünften kommt hin und wieder eine Putzfirma vorbei“, erläutert Kraft. Grundsätzlich reinigen die Bewohner ihre Räume selbst und bezahlen auch die Putzmittel. Nur mit einigen wenigen Bewohnern funktioniere das nicht. Um die Hygienevorschriften einzuhalten und einer Schließung durch das Gesundheitsamt zuvorzukommen, müsse dann eingegriffen werden.
Josef Höninger, der sich in Ertingen in der Flüchtlingsarbeit engagiert, empfahl, mal selbst eine Unterkunft zu besuchen und keine Urteile aus der Ferne zu fällen. Sara Sigg wünscht sich eine differenzierte Wahrnehmung, auch wenn es schwierig sei, da man mit „Fakten und Nichtfakten beschallt“ werde. Sie betonte zudem, dass der große Teil der Menschen Schutz suche und nur ein kleiner Teil auf wirtschaftliche Vorteile aus sei. „Krieg und Verfolgung sind Teil unserer Welt und das bleibt so“, gab sie zu bedenken. Kraft sagte: „Wir dürfen unsere Menschlichkeit nicht verlieren. Wir stellen aber einen größeren Drang nach Abgrenzung fest.“ Und da sich der Zugang nicht so schnell begrenzen lasse, müsse die Integration in die Gesellschaft weiter gefördert werden.
© Schwäbische Zeitung, Ausgabe Biberach vom 19.5.23