Von Wolfgang Lutz - Hailtingen
Vor dem Treffen der EU-Agrarminister in Koblenz, zu dem Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eingeladen hat, will auch der Bauernverband anhand von sieben Kernanliegen auf die Probleme der deutschen Agrarwirtschaft aufmerksam machen. Der Kreisbauernverband Biberach-Sigmaringen hatte deshalb zu einem „Europäischen Frühstück“ ins Bräuhaus nach Hailtingen geladen, um dieses verfasste Dekret zusammen mit den regionalen Politikern zu diskutieren und über den Landesverband an die Ministerrunde weiterzuleiten. Gerade bei solchen Zusammenkünften würden oft entscheidende Maßnahmen getroffen. Es sei wichtig, die Sicht der Bauern hier darzustellen, so der Kreisobmann Gerhard Glaser.
Der Aufruhr auf den Höfen sei groß, vor allem wenn man sehe, wie auf die Landwirtschaft eingeprügelt werde, stellte Glaser zu Beginn seiner Ausführungen fest: „Die Hütte brennt.“ Dabei träfen viele kritisierten Vorgänge, wie zum Beispiel der Skandal bei der Großschlachterei Tönnies, gar nicht auf die überwiegend bäuerlichen Familienbetriebe zu. Gerade aber in Zeiten von Corona zeige sich deutlich, wie wichtig eine eigenständige, wettbewerbsfähige und qualitativ hochwertige Erzeugung von Lebensmitteln aus den Händen europäischer Bauern sei. Daher brauche es dringend politische Signale, dass die Arbeit der Bauern auch in Zukunft wertgeschätzt wird. Hellwach müsse man auch sein, was an neuen Verordnungen in Sachen Pflanzenschutz auf die Agrarwirtschaft zukomme. Der Schutz der Kulturpflanzen und Qualität bleiben unverzichtbar, daher müsse nach Glaser weiterhin eine bedarfsgerechte Düngung möglich bleiben. „Wir sind die einzige Branche, die mehr Ressourcen hinterlässt als verbraucht“, so der Kreisobmann.
Auf dem Weg zu einer „grünen gemeinsamen Agrarpolitik“ müsse die Einkommensstabilisierung im Auge behalten werden. Ein weiteres Anliegen der Bauern betrifft die gemeinsamen Standards für einen gemeinsamen Markt. „Zweierlei Tier- und Umweltschutz hilft niemandem“, so Gerhard Glaser. Agrarimporte aus Drittländern dürften die hohen und kostenintensiven EU-Standards nicht unterlaufen und eine klare Kennzeichnung sei unumgänglich. „Dafür, dass die gesellschaftlichen Anforderungen auf die Landwirte abgewälzt werden, müssen sie einen entsprechenden Ausgleich für zusätzliche Leistungen im Ressourcenschutz und für das Tierwohl erhalten“, fordert Glaser. Das Ziel einer klimaneutralen EU ab 2050 sei nur zusammen mit der Land- und Forstwirtschaft erreichbar. Hier müsse auch die Senkenleistung der Land- und Forstwirtschaft im Rahmen der CO2-Bepreisung finanziell entlohnt werden.
„Wir müssen wieder vor die Welle kommen. Ich habe den Eindruck, dass wir bisher hinterhergehechelt sind“, so der Biberacher Bundestagsabgeordnete und Landwirtschaftsexperte Josef Rief. Er fordert wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für den landwirtschaftlichen Berufsstand: „Die Landwirtschaft hat auch in Zeiten von Corona funktioniert.“ Er sprach sich für die Fortführung der gemeinsamen Agrarpolitik aus und empfahl ein Auge auf die Ausgleichsleistungen zu legen. Auch bei der Vermarktung von Lebensmitteln müsse man auf der Hut sein. Rief brach auch eine Lanze für die Bauern in Sachen Tierwohl: „Tierschutz ist für uns Landwirte eine Herzensangelegenheit.“
Missstände seien Einzelfälle und müssten schonungslos aufgedeckt werden. Ein Mehr an Tierwohl und ständig neue Reglementierungen müssten nach seinen Aussagen finanziell ausgeglichen werden. Rief bezeichnete es als unerlässlich, europäische, am besten sogar weltweite Standards in der Lebensmittelproduktion einzuführen. „Es geht auch um unser Image“, so der Bundestagsabgeordnete.
Bei seiner Sommertour habe er die ganze Bandbreite der Lebensmittelproduktion erlebt, berichtete so der Biberacher Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger. Nach seiner Meinung müsse die Regionalität wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden. In seinen Eckpunkten stellte er aber das Wasser als höchstes Gut dar. Daher müsse die Düngeverordnung für alle an vorderster Stelle stehen. „Bringen Sie sich hier bei diesem Thema ein, auch den Politikern gegenüber, denn hier können wir nicht nur auf die Fachleute hören“, so sein Appell an die Bauern. Durch die Schließung der kleinen Schlachthöfe werden die Einheiten immer größer und die Wege in die Schlachthöfe immer weiter. Er sei ein Freund der Regionalität und nach seiner Meinung müsse man dem Höfesterben und den Schlachthofschließungen entgegentreten: „Wenn ein Bauernhof aufgegeben wird, kommt er nie mehr zurück.“
In der regen Diskussion wurde vor allem angeprangert, dass die Nahrungsmittel in Deutschland keinen Stellenwert mehr hätten und die Bauern zu Verwaltern staatlicher Vorschriften geworden seien. Auch die Verunsicherung bei jungen Leuten auf den Höfen zeige Auswirkungen. „Es ist bedenklich, wenn derzeit im Kreis Sigmaringen nur drei Personen den Beruf des Landwirts erlernen wollen“, mahnte ein Diskussionsteilnehmer. Weiter wurden die fehlenden europaweiten Standards bemängelt; es sollten die Vorgaben auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Einig waren sich die Teilnehmer darüber, die industrielle Landwirtschaft nicht in diesem Maße zu fördern und auch darüber, dass statt Verboten ein kontinuierlicher Optimierungsprozess bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln beschritten werden soll.
© Schwäbische Zeitung, Ausgabe Laupheim vom 1.9.20